In den vergangenen Tagen hat sich im Profidarts eine bemerkenswerte Offenheit entwickelt. Immer mehr Spieler sprechen öffentlich über mentale Probleme, psychische Belastungen und emotionale Grenzerfahrungen. Was lange als individuelles Scheitern oder „mentale Schwäche“ galt, wird zunehmend als strukturelles Thema verstanden. Die zentrale Frage lautet daher: Hat der Dartsport ein ernsthaftes Mental-Health-Problem – oder erleben wir lediglich eine neue Offenheit?

Spieler berichten von Druck, Angst und Überforderung

Besonders eindrücklich waren zuletzt die Auftritte von Cameron Menzies. Bei der Weltmeisterschaft wirkte der Schotte auf der Bühne sichtlich überfordert, rang nach Luft und musste sich emotional sammeln. Nach seiner Niederlage in der ersten Runde gegen Charly Manby zerstörte der Schotte vor Wut den Tisch auf der Bühne, der eigentlich zum Abstellen von Getränken während des Spiels vorgesehen ist.

Später erklärte er, dass ihn die Atmosphäre, der Erwartungsdruck und die eigene innere Anspannung nahezu überwältigt hätten. Sinngemäß sagte er, dass sich alles „zu viel auf einmal“ angefühlt habe – nicht körperlich, sondern mental.

Ähnliche Töne kommen von Rob Cross, dem Weltmeister von 2018. Er sprach offen darüber, dass Erfolg im Darts keineswegs automatisch Glück bedeute. Im Gegenteil: Phasen großer Siege seien bei ihm mit innerer Leere, Antriebslosigkeit und mentaler Erschöpfung einhergegangen. Cross machte deutlich, dass der ständige Leistungsdruck, das Reisen und die Erwartungshaltung von außen einen Preis haben, den man oft erst zu spät erkennt.

Auch James Wade gehört zu den Spielern, die seit Jahren offen mit dem Thema umgehen. Er hat mehrfach erklärt, dass er mit bipolaren Störungen lebt und professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Wade betonte sinngemäß, dass mentale Erkrankungen im Darts genauso real seien wie körperliche Verletzungen – und dass Schweigen niemandem helfe.

Zwischen Bühne, Einsamkeit und öffentlicher Bewertung

Was viele Aussagen verbindet, ist das Gefühl der Isolation. Trotz ausverkaufter Hallen stehen Spieler allein am Oche, allein im Hotelzimmer, allein mit Gedanken nach Niederlagen. Hinzu kommen soziale Medien, in denen Kritik ungefiltert auf die Spieler einprasselt. Mehrere Profis – darunter auch Stephen Bunting und Luke Humphries – haben beschrieben, wie sehr öffentliche Erwartungen und Kommentare belasten können.

Humphries sprach davon, dass der Kalender immer dichter werde und kaum Raum zur Regeneration lasse. Bunting wiederum wies darauf hin, wie wichtig es sei, sich Hilfe zu suchen und darüber zu sprechen, statt Probleme zu verdrängen.

Diese Offenheit wird jedoch nicht von allen positiv aufgenommen. Manche Spieler, wie Scott Williams, kritisierten, dass jede kleine Schwäche sofort psychologisiert werde. Auch das könne zusätzlichen Druck erzeugen.

Die Rolle der PDC und strukturelle Verantwortung

Die PDC und die Spielergewerkschaft PDPA betonen, dass es bereits Unterstützungsangebote gibt – etwa Zugang zu psychologischer Beratung und vertrauliche Ansprechpartner. Offiziell heißt es, das Wohl der Spieler habe Priorität und man ermutige alle Profis, diese Angebote zu nutzen.

Gleichzeitig zeigt die Häufung öffentlicher Fälle, dass diese Maßnahmen offenbar nicht ausreichen oder zu wenig genutzt werden. Der enge Turnierplan, finanzielle Abhängigkeit von Ergebnissen und fehlende Pausen verstärken den mentalen Druck – gerade bei Spielern außerhalb der absoluten Spitze.

Fazit: Hat der Dartsport ein Problem? Ja – aber kein isoliertes, sondern ein systemisches. Der Dartsport leidet nicht daran, dass Spieler schwach sind, sondern daran, dass mentale Belastungen lange verdrängt wurden. Die aktuellen Aussagen zeigen weniger eine Krise als vielmehr einen Kulturwandel. Spieler sprechen, weil sie es endlich dürfen. Gleichzeitig wird deutlich: Offenheit allein reicht nicht. Es braucht verbindlichere Strukturen, mehr Prävention, realistische Kalender und ein Umfeld, das mentale Gesundheit genauso ernst nimmt wie sportliche Leistung. Der Dartsport hat also kein neues Problem – er erkennt es gerade erst.

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